Leidenschaft Okzitanien
Sehenswertes in Okzitanien
Der Weinkeller Byrrh und das größte
Weinfass der Welt - Les caves Byrrh et le plus grand tonneau de vin du monde
Etwa 15 km südwestlich von Perpignan im
Departement Pyrénées-Orientales liegt das Städtchen Thuir.
Dieser Ort ist untrennbar mit der Marke Byrrh verbunden, einem Apéritif,
der Weltruhm erlangte. Es gab keine Bar, kein Restaurant, kein Café, kein
Dorf und keine Stadt, in der das Getränk nicht zum Alltagsleben der
Franzosen und Französinnen gehörte. Und bald schon hatte die ganze
Welt das Getränk entdeckt, mit der Eisenbahn und per Schiff vom
Mittelmeerhafen Port Vendres aus ging es bis nach Amerika, wo in manchen Bars
noch heute die Werbeschilder der Marke Byrrh hängen. Um 1930 wurden jährlich
mehr als 40 Millionen Flaschen verkauft. Eine für die damalige Zeit außergewöhnliche
Werbestrategie trug zu dem großen Erfolg bei. Schriftzüge der Marke
Byrrh fanden sich an vielen Häusern und Mauern, Werbeschilder und Plakate
verzierten Geschäfte und Bars, Busse und Straßenbahnen. Jedes große
Ereignis, wie z.B. die Tour de France, wurde mit Werbung der Marke Byrrh
begleitet. Dazu kam die Teilnahme an internationalen Ausstellungen und
Weinmessen. Und auch Hunderte von kleinen Gebrauchsgegenständen wie
Korkenzieher, Aschenbecher, Trinkgläser, Untersetzer usw. trugen das
Byrrh-Emblem. Bei einem Besuch und einer Führung im Caves Byrrh in Thuir
erlebt man hautnah die Erfolgsgeschichte dieser Marke.
Die unglaubliche Geschichte und der Aufstieg der Marke
Byrrh begann Mitte des 18. Jahrhunderts. In dem kleinen Dorf Corsavy am Fuße
des Canigou, des heiligen Berges der Katalanen, lebten in bescheidenen Verhältnissen
die Brüder Simon und Pallade Violet. Mit ihrem, von einem Maultier
gezogenen Wagen, zogen sie in die katalanischen Dörfer und verkauften auf
den Märkten ihre Stoffe, Knöpfe, Garne und andere Kurzwaren und auch
Wein. 1866 kauften sie in Thuir einen leerstehenden Laden und gründeten ein
Weingut.
Während einer der Brüder weiterhin diese
Waren anbot und verkaufte, beschäftigte sich der andere mit Wein, der
damals in der Region seinen großen Aufschwung nahm. Sie kreierten einen "medizinischen
Wein", eine Mischung aus Wein (Mistelle = süßer Traubenmost
plus Alkohol) und aromatischen Heilpflanzen unter Hinzugabe von Chinarinde
(Quinquina) und nannten ihn "tonischer und hygienischer Wein mit Chinarinde"
("Vin tonique et hygiénique au quinquina"). Ab 1872 wurde das "Gemisch"
als Heilwein u.a. in Apotheken verkauft, da es sich als stärkendes Getränk
erwies, das bei Kindern gegen Appetitlosigkeit helfen sollte, Krankheitskeime
und sogar Malaria bekämpfen sollte. Der Erfolg dieses Getränks war so
groß, dass die Apothekerkammer in Montpellier den Brüdern Violet in
einem Gerichtsverfahren unlauteren Wettbewerb wegen der Verwendung des Begriffs
"Chinarinde" unterstellte, das ihrer Meinung nach ein pharmazeutisches
Produkt bezeichnete. Um einer Verurteilung zu entgehen, entschlossen sich die Brüder
ihr Produkt in Zukunft als Aperitif unter dem Namen BYRRH anzubieten. (Der Name
Byrrh soll durch eine zufällige Anordnung der Anfangsbuchstaben von
Stoffrollen in ihrem Laden entstanden sein). Im Februar 1873 wurde diese Marke
beim Handelsgericht in Perpignan angemeldet.
Und damit begann die große Erfolgsgeschichte des
Aperitifs Byrrh. Er wurde zum Lieblingsalkohol der Franzosen. Schon bald
reichten die Produktionsmengen nicht mehr aus um die Nachfrage zu befriedigen.
Eine Vergrößerung der Betriebsstätte in Thuir war ebenso die
Folge, wie der Ankauf zahlreicher Weinkeller in der Umgebung, vor allem als
Lagerflächen. Niederlassungen wurden in der ganzen Welt errichtet. Der
Bedarf war so groß, dass der Aperitif jetzt nicht mehr in Flaschen sondern
in Fässern ausgeliefert wurde. Über 800 Fässer, darunter 70
Eichenfässer mit einem Volumen von jeweils 200 000 Litern Fassungsvermögen,
ermöglichten die Lagerung von mehr als 40 Millionen Litern. Um schneller
und in größeren Mengen ausliefern zu können, wurde das
Betriebsgelände in Thuir an das Eisenbahnnetz mit eigenem Verladebahnhof
angeschlossen. Das Dach des Bahnhofs hatte kein Geringerer als Gustave Eiffel
entworfen und gebaut.
1891 war der Gründer Simon Violet gestorben. Sein
Sohn Lambert führte von da an das Werk seines Vaters fort und expandierte
weiter. 1910 beschäftigte das Unternehmen mehr als 750 Mitarbeiter. Und wie
schon sein Vater setzte auch Lambert die für die damalige Zeit erstaunliche
Sozialpolitik fort. Er lies in Thuir ein Krankenhaus bauen, in dem die Beschäftigten
und ihre Familien kostenlose medizinische Versorgung in Anspruch nehmen konnten.
Und lange bevor der französische Staat gesetzliche Regelungen schaffte, gewährte
der Betrieb seinen Mitarbeitern 10 Tage Jahresurlaub, eine Altersrente, feste Löhne
auch an Sonn- und Feiertagen, Versorgung bei Arbeitsunfällen usw. Und auch
der Stadt Thuir kamen der Reichtum und Wohlstand der Byrrh-Kellereien zugute.
1920 übernahmen Simone und Jacques Violet die
Leitung des Familienunternehmens und setzten die Expansion fort. 1935 gaben sie
bei dem französischen Fassbauer Marchive-Fruhinsholz aus Nancy den Bau
eines Eichenholzfasses in Auftrag, das ein Fassungsvermögen von 1 000 200
Litern hatte. Das größte bisher gebaute Fass, in dem auch Wein
ausgebaut wurde. (Das Dürkheimer Fass mit seinen 1 700 000 Litern
Fassungsvermögen wurde nie für die Weinbereitung benutzt, es
beherbergt heute ein Restaurant). Hier ein paar Kennzahlen zum Byrrh-Fass, das
den Höhepunkt der Führung durch den Cave darstellt:
Höhe des
Fasses: 10 m
Durchmesser an der breitesten Stelle: 12,42 m
Durchmesser
oben: 10,48 m
Anzahl der Dauben (Längshölzer) aus Eichenholz: 175
Dicke
der Dauben: zwischen 10 und 14 cm
Umreifung des Fasses: Stahlringe zwischen
32 und 40 mm
Gesamtlänge der Umreifungen: 1860 m
Gewicht des leeren
Fasses: 100 t
Gewicht des vollen Fasses: 1100 t
Der Bau des Fasses (von der Auswahl, dem Kauf, dem Fällen,
dem Biegen und Trocknen des Eichenholzes aus dem Departement Sarthe, der
Vorfertigung in den Werkstätten des Böttchers in Nancy, die
Anlieferung der Einzelteile per Bahn nach Thuir und das Errichten im Caves
Byrrh) dauerte (wohl auch bedingt durch den zweiten Weltkrieg) immerhin 15
Jahre. Am 2. Februar 1950 fand die erste Abfüllung aus diesem Fass statt.
Mit einer Lagerkapazität von ca. 15 Millionen Litern war der Caves Byrrh in
Thuir der größte Weinkeller der Welt geworden.
Nach dem 2. Weltkrieg geriet das Wachstum allerdings
ins Stocken. Andere Aperitifs verdrängten den Byrrh und der Absatz geriet
ins Stocken. Unstimmigkeiten innerhalb der Familie führten schließlich
dazu, dass das Unternehmen Cusenier (Société E. Cusenier, Fils aîné
et Cie) aus Dijon 1961 den Caves Byrrh übernahm. Und seit 1977 gehört
das gesamte Unternehmen zur Pernod-Ricard-Gruppe. Die Produktpalette wurde in
Thuir erweitert um Marken wie Dubonnet, Cinzano, Ambassadeur, Vabé, Suze,
Bartissol und auch heute wird noch ca. 300 000 l des Aperitifs Byrrh produziert.
Ein Besuch in Thuir und eine Führung durch den
Caves Byrrh lohnt sich. Dabei erfährt man die Geschichte und die
Entwicklung der Kellerei auch anhand von Fotografien und Dokumenten. Ein
Erlebnis sind die vielen Gewürze und Kräuter, die man riechen und
schmecken und erraten kann. Mehrere Hologramme veranschaulichen den Alltag eines
Arbeitestages im Cave bevor man in die "Kathedrale der Fässer"
kommt, in denen man die großen Fässer anfassen und besichtigen und zu
dem weltgrößten Fass aufblicken kann. Dass sich danach eine
Degustation des berühmten Getränkes anschließt, ist selbstverständlich.
Der Cave ist ganzjährig geöffnet. Weitere
Informationen findet man auf der Homepage des
Caves Byrrh. Erwähnt
werden soll auch noch, dass es spezielle Events gibt wie Licht- und
Klangerlebnisse, Entdeckertours, Gebäckworkshops, Escape-Games usw. und natürlich
ein Boutique.
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